"Wir sind nur Freunde" - oder doch mehr?

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Umgeben von wunderschönen Bäumen saßen ein gutaussehender Freund und ich unter einem sternenklaren Nachthimmel, als er begann mir Fragen über mein Leben zu stellen. Es war außerordentlich romantisch und gleichzeitig auch nicht, denn er hatte eine Freundin. Ich wusste das, aber dachte nicht, dass “nur reden” in irgendeiner Weise schaden könnte. Je mehr tiefe und wirklich gut überlegte Fragen er mir stellte, desto mehr Details und Dinge gab ich preis, die ich anderen normalerweise nicht einfach so erzählte. Ich dachte, das sei kein Problem – bis zum nächsten Morgen. Ich wachte auf und fühlte mich diesem Freund unglaublich nahe und sehr verbunden, während mir dämmerte, dass er natürlich immer noch mit seiner Freundin zusammen war. Ich war so irritiert davon, dass ich mich so schrecklich fühlte, wo ich doch nichts Falsches getan hatte. Ich hatte ihn nicht geküsst. Ich hatte diesen Typen nicht einmal angefasst. Was war da los? Ich war in einer Gemeinde aufgewachsen, in der klare physische Grenzen kommuniziert wurden, wie beispielsweise „Hab keinen Sex vor der Ehe“ und selbstverständlich auch „Küsse keinen Mann, der mit einer anderen Frau zusammen ist“. Es hätte mir jedoch an diesem Abend deutlich mehr geholfen, mehr über emotionale Grenzen zu wissen.

Emotionale Grenzen sind oft etwas komplexer als ihr physisches Pendant und definitiv nicht so oft Thema wie Letzteres. Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass du über jemanden einfach nicht hinweggekommen bist? Das muss nicht unbedingt heißen, dass ihr zwei füreinander bestimmt wart. Es könnte genauso gut auch einfach bedeuten, dass ihr ungeachtet der Tatsache, dass die andere Person keine Beziehung wollte, immer und immer wieder emotionale Grenzen überschritten habt. Ihr seid immer tiefer in eine gemeinsame Intimität eingetaucht – und das ohne jegliche Verpflichtung. Lasst uns dazu noch ein anderes Beispiel anschauen:

Ich hatte einen Freund, mit dem ich die ganze Zeit zusammenhing. Ich war davon ausgegangen, klar gemacht zu haben, dass ich keine Beziehung wollte. Täglich Zeit zu zweit mit ihm zu verbringen, stellte also aus meiner Sicht kein Problem dar. Als er mich dann schließlich fragte, ob wir jemals eine Beziehung haben würden, sagte ich, dass ich nicht davon ausginge. Mein Ego wollte natürlich den Gedanken wahrhaben, dass er deshalb gefragt hatte, weil ich so ein toller Fang war, faktisch unersetzbar, aber das war ich nicht. Binnen weniger Wochen fand er ein wunderbares Mädchen, mit der er glücklich wurde. Er hatte gedacht, dass es mit uns auf eine Beziehung hinauslaufen würde, weil wir praktisch bereits eine führten und nicht weil ich irgendwelche besonders herausragende Eigenschaften hatte. Als er dann mit jemand anderem zusammenkam, war ich ziemlich geknickt und zwar ohne wirklich zu verstehen, warum. Der Grund dafür war folgender: Ich hatte zugelassen, dass er eine ganze Reihe meiner emotionalen Bedürfnisse gestillt hatte und ihn so behandelt, als wäre er mein Freund, obwohl er das nicht war.

Ich möchte an dieser Stelle gerne kurz klarstellen, dass es nicht zwingend falsch ist, ein persönliches Verhältnis mit jemandem aufzubauen und eine Verbindung zu vertiefen. Wenn du jemanden aktiv näher kennenlernst oder in einer Beziehung bist, dann können euch diese Dinge einander wirklich näherbringen und das ist schließlich euer Ziel. Zum Problem wird das Ganze, wenn du das wiederholt mit einer Person tust, mit der du keine Beziehung möchtest (oder diese Person das mit dir macht). Zu lernen, sich dieser Tatsachen bewusst zu sein, kann dich und die Menschen in deinem Leben vor Schmerz und Verwirrung bewahren. Folgende Punkte möchte ich dir noch mitgeben, bei denen mir auffiel, dass sie Intimität vertiefen und daher zum Überschreiten emotionaler Grenzen führen können:

1. Dinge erzählen, die man nur mit wenigen Menschen teilt (Ängste, Kämpfe, Schmerzen aus der Vergangenheit, Hoffnungen und Sehnsüchte, Träume und Freudenmomente) – man fühlt sich ganz schön besonders, wenn jemand diese Dinge mit einem teilt und Zutritt zu seiner inneren Welt gewährt. Vielleicht ist man ja die oder der Eine…

2. Über sensible Details und schwierige Momente aus dem Leben und der Familie des jeweils anderen reden – das Gute, das Schlechte, das Hässliche… das sind die Dinge, über die man nicht in trauter Zweisamkeit unter einem sternenklaren Nachthimmel reden muss.

3. Viel Zeit zusammen verbringen, insbesondere zu zweit – das kann man sich eigentlich ganz gut merken: Ein Zuviel an Zeit, Berührung, Schreiben oder Reden ist immer auch ein Flirt mit der nächsten Stufe einer Freundschaft.

4. Zukunftspläne schmieden, sich gedanklich ausmalen und darüber so reden, als ob die andere Person mit Sicherheit  einen Platz darin findet – das gilt besonders für uns Frauen. Wir fangen schnell damit an, in Gedanken bereits unsere Hochzeit, die Flitterwochen oder die nächsten fünf Jahre zu planen. Männer, wir brauchen euch hier ganz dringend und zwar hilft es ungemein, wenn ihr uns gegenüber bezüglich solcher Themen keine Worte verliert, es sei denn, ihr wollt auch tatsächlich Taten folgen lassen.

5. Fürsorge oder sich wiederholt in besonderem Maß Umstände machen, um die Bedürfnisse einer anderen Person zu erfüllen – wenn du für jemand ständig Dinge tust, die man nicht für jeden tut, wird sich diese Person auch wie jemand besonderes fühlen. Seltsam, ich weiß - aber so funktioniert das nun eben mal.

Jungs, wenn ihr euch einer Frau gegenüber so verhaltet, dürfte es euch nicht überraschen, wenn sie nur noch Herzchen sieht. Mädels, wenn ihr so mit Männern umgeht, solltet ihr nicht aus allen Wolken fallen, wenn er denkt, ihr würdet ihn gerne näher kennenlernen und hättet Interesse an einer Beziehung. Ich weiß, ich weiß. Du bist wahrscheinlich sehr charmant und attraktiv und das macht dich unwiderstehlich. Aber du machst ihn vermutlich auch zu deinem Freund, obwohl er das nicht ist oder lässt sie immer weitergehen, auch wenn du sie keinesfalls als Freundin gewinnen möchtest, also hör auf damit. Bemühe dich vielmehr um ein Gespräch und schaffe Raum dafür, dass ihr einander sagen könnt, woran ihr seid. So gewinnt ihr beide Klarheit und hegt keine falschen Erwartungen (Link auf Englisch). Eine immer tiefere Intimität resultiert ganz natürlich in der Erwartung nach einer festen Bindung und Verpflichtung, auch wenn einer oder beide von euch gar nicht die Absicht hat, eine solche Verpflichtung einzugehen.

Selbst in einer Beziehung ist es nach wie vor wichtig, emotionale Grenzen zu setzen. Man kann nicht mal eben über Nacht von Intimitätslevel Null auf Hundert springen. Vielleicht mag er die gleichen Filme wie du und hat die perfekte Persönlichkeit. Sie ist möglicherweise die schönste Frau auf Erden, die du je zu Gesicht bekommen hast. Das ändert nichts daran, dass du dennoch Vertrauen aufbauen und durch jede Phase einer Beziehung gehen musst, um diese auf ein gutes Fundament zu stellen. Überstürze es nicht. Nimm dir für jede Phase die Zeit, die du brauchst.

Wir haben bereits darüber gesprochen, aber behalte grundsätzlich im Hinterkopf, dass der Grad an Intimität mit einer Person den Grad an Verpflichtung nicht übersteigen sollte. Das gilt natürlich in erster Linie für physische Grenzen, ist aber auf Grenzen emotionaler Art ebenso anwendbar. Wenn du Dinge und Gefühle aus deinem Leben teilst, die du nur wenigen Menschen erzählst, erlaubst du jemandem damit, einen tiefen Blick in dein Herz zu werfen. Die andere Person kann so vertrauenswürdig sein, wie man es nur sein kann, doch solange sie sich dir gegenüber nicht fest verpflichtet hat, gibt es einige Teile deines Herzens, zu denen sie sich noch keinen Zutritt verdient hat.

So, liebe Ladies, solltet ihr euch also unter einem wunderbar sternenklaren Nachthimmel mit einem gutaussehenden Mann wiederfinden, der eine Freundin hat, ist es mir vollkommen egal, wie gut durchdacht seine Fragen sind, haltet das Ganze oberflächlich! Lieblingsfarbe, Lieblingsschokoriegel und Lieblingskäse, aber das war es dann auch schon. Ganz anders sieht die Sache natürlich aus, wenn er noch zu haben ist und dich gerne näher kennenlernen will – aber das ist eine andere Geschichte…