"Von Geburt an...": Die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur sexuellen Orientierung

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Was gerade sehr präsent erzählt wird ist, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen genetisch vorherbestimmt sei. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen jedoch das Gegenteil auf, was eine neue Studie bestätigt.

Laut den aktuellen wissenschaftlichen Erkentnissen ist die sexuelle Orientierung und Partnerwahl vor allem abhängig von der Entwicklung und auch dem Ausdruck persönlicher Autonomie hinsichtlich der sexuellen Möglichkeiten. Personen mit homosexuellen Anziehungen sollten sowohl in kultureller als auch rechtlicher Hinsicht frei sein, sich nicht in dieser Hinsicht zu identifizieren oder danach zu handeln.  

Vor kurzem hat ein Team von MIT und Harvard Wissenschaftlern eine wegweisende Studie zur sexuellen Orientierung („Large-scale GWAS reveals insights into the genetic architecture of same-sex sexual behavior") in der Zeitschrift Science publiziert. Diese Studie basiert auf der Untersuchung des Genmaterials von fast einer halben Million Menschen. Die Ergebnisse der Studie widerlegen die These, dass Homosexualität durch Gene vorherbestimmt sei.

Die Studie legt zwei essentielle Ergebnisse vor. Erstens wurde gezeigt, dass vererbbare Gene einen geringen Effekt auf homosexuelle Anziehungen haben. Die Gene, die auf homosexuelle Anziehungen zurückgeführt werden können, waren nur zu 0.32 (auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 1 (vollständig)) vererbbar. Das bedeutet nun, dass das Umfeld, in dem sich eine Person entwickelt, einschließlich der Ernährungsweise, Familie, Freunde, Nachbarn, Religion und anderer Lebensbedingungen einen doppelt so hohen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit ein homosexuelles Verhalten oder eine homosexuelle Orientierung zu entwickeln hat als die der Gene einer Person.

Zweitens widerlegt die Studie den über Jahrzehnte weitverbreiteten Glauben, dass es ein einzelnes Gen gibt, welches zur Homosexualität führt. Vielmehr existieren viele unterschiedliche Genvarianten, welche über das gesamte Genom verteilt sind und die Neigung für ein homosexuelles Verhalten zu einem minimalen Teil erhöhen. Um in wissenschaftlicher Fachsprache zu sprechen, ist die homosexuelle Orientierung und das homosexuelle Verhalten stark polygen.

Aus diesen zwei Ergebnissen – eine geringe Vererbbarkeit und eine starke Polygenetik – kann klar abgeleitet werden, dass die kulturell dominierende Meinung, homosexuelle Personen seien biologisch an Ihre Orientierung gebunden – dass jemand „so geboren wurde“ – einfach nicht wahr ist.

Die geringe Vererbbarkeit, welche ein konstantes Ergebnis in vorherigen genetischen Studien ist, suggerierte bisher, dass eine Vorherbestimmtheit einer gewissen Eigenschaft nicht zutreffend sein muss. Die starke Polygenetik hingegen beweist einiges mehr: sie schließt die Möglichkeit einer Vorherbestimmtheit aus. Eine genetische Anordnung, welche durch viele Marker über das ganze Genom verteilt ermittelt wurde, zeigt, dass alle Menschen diese Anordnung oder einen großen Teil dieser genetischen Anordnung besitzen. In anderen Worten, homosexuelle Personen besitzen einen völlig normalen Genotypen; sie unterscheiden sich genetisch in keiner signifikanten Weise von anderen Menschen. Schlussfolgernd begründet sich die Entwicklung der sexuellen Orientierung nicht in der Genetik eines Menschen, sondern vielmehr in der Entwicklung und dem Ausdruck der persönlichen Autonomie hinsichtlich der eigenen sexuellen Möglichkeiten.

KANN DIE TOLERANZ DURCH DAS WIDERLEGEN EINER VORHERBESTIMMTEN SEXUELLEN ORIENTIERUNG ERHÖHT WERDEN?

Die Wissenschaftler dieser Studie haben sich bei den Schlussfolgerungen nicht zurückgehalten. Erstautorin Andrea Ganna sagte in der New York Times: „Es wird nun im Wesentlichen unmöglich sein, die sexuelle Orientierung und Aktivität alleinig durch die Genetik zu prognostizieren“. Ein an die Studie angefügtes Essay führte aus, dass die Ergebnisse der Studie der „Neigung die Sexualität auf eine genetische Vorherbestimmtheit zu reduzieren“ entgegenstehen und bestätigt, dass „Sexualität durch kulturelle, politische, soziale, legale und religiöse Strukturen geformt und reguliert wird.“ Andere an der Studie beteiligte Wissenschaftler, die selbst homosexuell sind, widersetzten sich den Studienergebnissen. Sie äußerten ihre Bedenken, indem sie sagten, die Ergebnisse könnten „falsch interpretiert“ werden, um „Hass zu verbreiten“. Diese Kommentare bringen das – wenn auch nicht willkommene – Bewusstsein zum Ausdruck, dass eine Vorherbestimmtheit der sexuellen Orientierung nicht existiert.  

Dankenswerterweise haben sich die leitenden Autoren dagegen entschieden, die wissenschaftlichen Ergebnisse allein aus politischen Gründen zu verschweigen. Dies ist eine richtige Entscheidung, denn das Ergebnis, dass die sexuelle Orientierung und die damit assoziierten Verhaltensweisen nicht vorherbestimmt sind, kann die Toleranz und Akzeptanz erhöhen.

An vielen Orten der Welt, wie das angefügte Essay erläutert, wird durch gesetzliche Bestimmungen versucht, Personen eine heterosexuelle Orientierung aufzuzwingen. In Europa, den USA und anderen liberalen westlichen Kulturen hingegen sind wir mit dem gegensätzlichen Problem konfrontiert. An vielen Orten ist der Kampf für Freiheit nicht der für eine freie Entscheidung zur Homosexualität, sondern der dagegen.

In 2015 wurde im Obersten Gericht in den USA („Supreme Court“) der Beschluss gefasst, dass homosexuelle Ehen legal anerkannt werden. Dies wurde im Glauben, dass die sexuelle Orientierung eine „unveränderbare Natur ist, die dazu führt, dass eine homosexuelle Ehe der einzig wahre Weg für diese Person ist“ beschlossen. Die Logik der Vorherbestimmtheit, die hinter diesem Beschluss steht, befähigt Personen, die ehemals befürworteten, dass homosexuelle Personen jemanden des gleichen Geschlechtes heiraten dürfen, nun auch dazu zu behaupten, dass homosexuelle Personen jemanden des gleichen Geschlechtes heiraten müssen. Aktuell gibt es mehrere legale und gerichtliche Bemühungen, eine freiwillige Therapie oder die Entscheidung sich gegen eine homosexuelle Beziehung oder Identität zu entscheiden, wenn homosexuelle Gefühle/Anziehungen vorliegen, zu verbieten. Dies ist darin begründet, dass diese Personen dann angeblich ihre unveränderbare Natur verneinen würden. In den USA sind Personen mit homosexuellen Anziehungen nun frei sich als homosexuell zu identifizieren und einen gleichgeschlechtlichen Partner zu heiraten. Dennoch wird auch vielfach versucht, diesen Personen das Recht zu nehmen, sich als nicht homosexuell zu identifizieren und jemanden des anderen Geschlechtes zu heiraten, auch wenn sie dies freiwillig tun. Denn dann würden sie ihre „wahre“ Identität verneinen und ablehnen.

VORHERIGE STUDIEN BESTÄTIGEN DIE FORMBARKEIT DER SEXUELLEN IDENTITÄT

In der Realität wird anhand der sexuelle Orientierung und des sexuellen Verhaltens deutlich, dass Personen, die frei sind nahezu unbegrenzt erotische Alternativen auszuprobieren, die unterschiedlichsten Identitäten annehmen. Auffällig ist, dass die Ganna Studie sich hinsichtlich der geringen Erblichkeit von sexueller Orientierung mit einer weiteren wegweisenden Studie deckt. Diese wurde von einem wissenschaftlichen Team unter der Leitung von Tinca Polderman durchgeführt und ist eine ausführliche Meta-Analyse aller Studien, die das genetische Material von Zwillingen untersucht. Wie in der Ganna-Studie fand Polderman eine Vererbbarkeit der sexuellen Orientierung von 0.32. Es ist bemerkenswert, dass zwei Studien mit völlig unterschiedlichen Methoden und Maßnahmen die gleichen Ergebnisse beobachtet haben. Beide Studien befanden nebenbei auch eine höhere Tendenz der Vererbbarkeit bei Männern als bei Frauen.

In Reaktion auf die Polderman Studie haben einige bekannte Forscher des Fachgebietes Sexualität die Ergebnisse einer wiederholt niedrigen Vererbbarkeit folgendermaßen interpretiert: “Während die innere sexuelle Anziehung sozial nicht verformbar ist, kann die Adaption einer sexuellen Identität zwanglos einer inneren sexuellen Neigung (homosexuelle, heterosexuelle oder sonstiges) durch die Entwicklung der meisten Menschen beeinflusst werden. Sie schreiben, dass “es natürlich möglich ist, die öffentlich bekannte sexuelle Orientierung zu ändern. Eine Person ist in der Lage zu entscheiden, ob sie homosexuell, heterosexuell oder gar enthaltsam leben möchte.” Diese Entscheidungen und eine Therapie, um diese Entscheidungen zu unterstützen, schreiben sie, sind üblicher Weise religiösen Ursprungs und “erklären wahrscheinlich die Behauptungen von ´ehemals homosexuellen´ Personen, keinen ´homosexuellen Lebensstil´ mehr zu führen.” Hierzu zitieren sie den Artikel von Lee Beckstead aus 2001: "Cures versus Choices: Agendas in Sexual Reorientation Therapy". Die Bücher von Jephthah´s Daugthers und Changed: #Oncegay Stories geben etliche Beispiele für Geschichten und Erzählungen von Personen, die sich von einer homosexuellen Identität und einem homosexuellen Verhalten weg bewegt haben.

Daten aus der Bevölkerung bestätigen, dass die meisten Personen mit homosexuellen Anziehungen Beziehungen mit gegengeschlechtlichen Partnern zumindest einmal probiert haben und eine Minderheit dieser Personen führen langfristige heterosexuelle Ehen. In der Umfrage General Social Survey (ein zweijähriges statistisches Profil der US-Bevölkerung, gesponsert von der National Science Foundation) berichteten 57% der Personen, die sich als homosexuell identifizieren (davon 40% homosexuelle Männer und 78% Frauen), dass sie, seitdem sie achtzehn Jahre alt sind, eine oder mehrere Partner des gegensätzlichen Geschlechtes hatten. Vier Prozent der homosexuellen Personen berichten, nur Sex mit Partnern des gegensätzlichen Geschlechts in dem letzten Jahr gehabt zu haben.

In den 100.300 Interviews des National Health Interview Surveys von 2013-2015, in denen die sexuelle Orientierung erfragt wurde, haben 13% der homosexuellen Personen berichtet, dass sie in einer heterosexuellen Beziehung oder nicht in einer homosexuellen Beziehung/Verhältnis leben. Übereinstimmend mit den religiösen Motiven, die oben erwähnt wurden, führten die meisten (88%) Personen dieser Minderheit eine heterosexuelle Ehe. Ein Drittel (35,6%) von ihnen zogen Kinder groß.

SEXUELLES VERHALTEN AUFZUZWINGEN IST FALSCH

Die übereinstimmenden Ergebnisse von Ganna und Polderman widerlegen klar das Bestreben, eine Person auf homosexuelle Identität oder homosexuelles Verhalten festzulegen oder dies zu erzwingen. Wenn schwule oder lesbische Personen genetisch gesehen völlig normal sind, was ist dann die Basis, wonach Personen das Bestreben verboten sein soll, nicht in homosexuelles Verhalten involviert sein zu wollen? Beide Studien zeigen auf, dass Personen mit einem Genotyp, der dem von schwulen oder lesbischen Personen ähnelt, nicht in homosexuellen Beziehungen involviert sind - sei es aus Gründen des sozialen Umfelds, der Entwicklung oder aufgrund persönlicher Prinzipien. Sollte diese Mehrheit nicht die gleiche Freiheit und Legitimität haben auch so zu leben?

Zivilisierte Menschen verurteilen den Versuch, jemandem auf persönlicher Ebene ein sexuelles Verhalten aufzuzwingen. Warum ist dieselbe zwanghafte Auferlegung bezüglich einer Entscheidung gegen die Homosexualität auf einer gesellschaftlichen Ebene akzeptabel? Wenn für die These, dass Homosexualität genetisch determiniert sei, überzeugende Nachweise in Form von auffälligen genetischen Unterschieden fehlen, dann ist es in keiner vernünftigen Weise logisch, anzunehmnen, dass eine Toleranz gegenüber Homosexualität die Intoleranz gegenüber Herterosexualität erfordern würde.

*Dieser Blog wurde ursprünglich veröffentlicht auf “Public Discourse: The Journal of the Witherspoon Institute” und wurde mit Erlaubnis nachgedruckt.